Je mehr man mit Leuten spricht, die auch den Jakobsweg gemacht haben, umso interessanter wird es. Hier teile ich gern meine Erfahrungen, die ich vom Caminho Portugues mitgenommen habe. Oft wurde ich danach gefragt, ob ich spezielle (übersinnliche) Erfahrungen gemacht habe. Damit konnte ich nicht dienen, aber es gibt sie.
Unterwegs begegneten wir einem Mitpilger, der uns folgende Geschichte eines Bekannten erzählte: Der Mann war mit anderen mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg unterwegs. Eines Tages waren sie unterwegs und die Getränke waren ihnen ausgegangen und weit und breit war kein Laden oder eine Möglichkeit, die Wasservorräte aufzufüllen.
Da hielt neben einer Kirche ein Auto mit deutschem Kennzeichen aus dem gleichen Bundesland wie der Bekannte an. Das ist schon ungewöhnlich genug, aber es kam noch besser. Aus dem Auto entstiegen 4 Männer indischer Abstimmung, die fragten, ob sie etwas zu trinken bräuchten. Sie öffneten den Kofferraum und dort befanden sich ausreichend Wasserkästen. Die Radfahrer bedankten sich herzlich, die Inder stiegen wieder in ihr Auto, ohne auch nur die Kirche besichtigt zu haben (und weit und breit gab es nichts anderes)! Es war, als wären diese nur gekommen, um den Radfahrern Unterstützung zu geben!
Was nehme ich nun persönlich vom Caminho Portugues mit? Hier sind meine 5 Takeaways:
Wir können viel mehr leisten, als was wir denken.
Nachdem ich am dritten Tag erkrankte, die Touren auch so schon anstrengend genug waren und ich nachts aufgrund der starken Erkältung kaum schlafen konnte, ist es bemerkenswert, was der Körper im Stande ist zu leisten.
Suche dir ein Zwischenziel, um durchzuhalten.
An einem der Tage ging es mir besonders schlecht. Ich hatte nachts wenig geschlafen, hatte starke Hustenanfälle und die vor uns liegende Etappe war die schwerste – lang und mit einem schweren Anstieg. In den Morgenstunden hatte ich mir bereits einen Plan B zurechtgelegt – wandern bis zum nächsten größeren Ort und von da aus mit dem Bus zum nächsten Etappenziel. Da fiel mir ein, dass eine Pilgerin am Vorabend ein tolles kleines Fischrestaurant erwähnte, in dem es preiswert ganz leckere und seltene Meeresfrüchte gäbe. Dieser Gedanke lies mich weiter wandern und nicht aufgeben. Während der Tour wurde mir dann klar, dass dieser Ort abseits der Route und zu weit entfernt vom Tagesziel war, aber da hatte ich meine mentale Schwäche schon überwunden und kämpfte mich weiter vorwärts.
Suche dein Glück nicht im Außen!
Vor Beginn der Reise hatte ich mir extra einen Instagram-Account zugelegt. Meine Idee war es, unterwegs inspirierende Fotos und Beiträge zu posten und so eine große Zahl von Followern zu gewinnen. Die ersten Abende war ich damit beschäftigt, die besten Bilder herauszusuchen, entsprechende Musik auszuwählen und die Beiträge zu gestalten. Nebenher tat ich mehr oder minder das gleiche nochmal auf Whatsapp. Dabei las ich auch mehr oder minder zwanghaft die Beiträge von anderen. Als ich eines nachts mal wieder von Hustenattacken geplagt aufstand, um die anderen im Schlafsaal nicht zu wecken und in die Lobby ging, kam mir plötzlich die Frage in den Sinn, warum ich eigentlich meine Zeit mit dieser Social Media Blase verschwende. Ich fand darauf keine rationale Antwort, außer das mein Ego der Welt mitteilen wollte, was ich Tolles mache (allerdings war es gar nicht die Welt, sondern eh enge Freunde und Verwandte). Also beschloss ich, dem ein Ende zu bereiten und maximal nur noch ein paar Fotos in die Familengruppe zu posten und ich merkte, wie gut mir das tat.
Es ist wichtig, mindestens einen gute(n) Freund/in zu haben, mit dem man alles teilen kann.
Ihr kennt das vielleicht – es gibt Dinge/Gedanken, die man nicht mit dem Partner/der Partnerin, den Eltern oder Geschwistern teilen kann oder möchte. Umso wichtiger ist ein richtig guter Freund, mit dem genau das möglich ist. Der keine emotionale Abhängigkeit von einem hat, zu dem man sein vollstes Vertrauen hat und seine geheimsten Geheimnisse teilen kann. Ich bin dankbar und glücklich, einen solchen Freund an meiner Seite zu haben. Und kein Psychologe/persönlicher Coach kann einen solchen Freund ersetzen – im Gegenteil, unter Umständen benötigt man einen solchen professionellen Begleiter gar nicht.
Es braucht viel weniger, als man glaubt.
Nach meiner Kindheit und Jugend in einer Mangelwirtschaft, hatte ich nach dem Studium ein großes Nachholebedürfnis. Meine Arbeit im Vertrieb ermöglichte es mir, schöne Reisen zu unternehmen, in einer schönen Wohnung zu leben, in teuren Restaurants zu speisen und mich mit entsprechend zu kleiden. Über die Jahrzehnte wuchs mein Besitz immer weiter an, mit Dingen von denen ich glaubte, sie besitzen zu müssen, um mich glücklich zu fühlen. Aber von den Reisen und dem schönen Essen und Wein bleibt nur eine Erinnerung und viele materielle Dinge werden zum Ballast und verstopfen die eigenen vier Wände. Wir schwer Dinge wiegen, wird einem umso stärker bewusst, wenn man sie auf den Schultern tragen muss. Am Ende wäre ich gern mit weniger Kilos auf dem Rücken pilgern gewesen, aber was für eine wunderbare Metapher für das weitere Leben. Einige von euch kennen vermutlich den Song „Leichtes Gepäck“ von Silbermond. Genauso erging es mir während des Jakobweges und direkt nach meiner Rückkehr fing ich an mit „Death Cleaning“!